Tagebuch der ASO-Jugendgruppe zur Projektwoche vom 20. bis 28. August 2011 im Tessin, mit Teilnahme am 89. Auslandschweizerkongress in Lugano
Direkte Demokratie im internationalen Kontext
Bellinzona, Samstag, 20. August 2011
Die kleine, aber feine Gruppe aus aller Welt trifft sich am Bahnhof Bellinzona zum Start der Projektwoche. Interessant ist, dass die jungen Auslandschweizer in umgekehrtem Verhältnis zur Länge ihrer Anreise eintreffen: Je weiter weg, desto eher da: Aus Guatemala kommt Erika zuerst, dann Laurens aus den Niederlanden, Adrien aus Frankreich und schliesslich mit etwas Verspätung Maurice aus Lörrach und Nicolo aus Milano. Zusammen fahren wir mit dem Zug nach Locarno, wo uns Tom mit dem Minibus abholt. Einquartieren und Kennenlernen im Ostello la Curva, mitten im Dorf Cavergno im Maggiatal. Es kann losgehen.
Val Bavona, Sonntag, 21. August 2011
Für eine erste Erkundung der Umgebung fahren wir das spektakuläre Val Bavona hinauf bis zum Ende der Strasse. Von San Carlo bringt uns die Seilbahn auf die Alp Robiei. Wir spazieren zu den umliegenden Stauseen und bestaunen den schrumpfenden Basadino-Gletscher beim Lago del Zött auf 1940 Metern über Meer. Für eine Einführung in Staatskunde klettern wir dem Gletscherbachweg entlang hinauf, den beiden behänden Berg-Gemsen Maurice und Adrien folgend. Vor diesem prächtigen Panorama, diskutieren wir über Föderalismus, direkte Demokratie und die Schweizer Parteienlandschaft, während der Bach im Hintergrund rauscht. «Der Bund kurz erklärt» auf 2000 Metern Höhe! Auf dem Rückweg am Nachmittag entdecken wir wandernd das Bilderbuchsteindorf Foroglio. Zurück in Cavergno reicht die Zeit noch für ein erstes erfrischendes Bad in der eiskalten Bavona.
Cavergno, Montag, 21. August 2011
Am Vormittag trafen wir den Bürgermeister von Cevio, der sich spontan bereit erklärt hatte, unsere kleine Gruppe zu einem Gespräch über Lokalpolitik zu empfangen. Zur Gemeinde gehören die drei Ortschaften Cevio, Bignasco und Cavergno. Bürgermeister Pierluigi Martini arbeitet direkt neben unserer Gruppenunterkunft in Cavergno. Die Gemeindeverwaltung ist provisorisch hier in einem Gebäude des Patriziato di Cavergno untergebracht, während das historische Gemeindehaus in Cevio saniert wird.
Im Vorfeld hatte die Gruppe in Cavergno recherchiert und erfahren, dass der Bürgermeister einen guten Ruf geniesst. Er mache seine Sache gut, hiess es. Einige Schwierigkeiten bereitete die Verständigung an unserem Treffen. Doch der Schreibende tat sein Möglichstes, um von Italienisch auf Englisch und Französisch zu übersetzen.
Pierluigi Martini ist von Beruf Mathematiklehrer an einer Kantonsschule in Locarno. Das Amt des Gemeindepräsidenten ist ein Ehrenamt. Politik sei auch im Lokalen immer mehr eine Sache der Persönlichkeit, sagte er im Gespräch. Die Partei sei weniger wichtig. Als grösste Probleme des Maggiatals und des Kantons bezeichnete er das Lohndumping und die Problematik der Grenzgänger. Diese spezielle Situation des Grenzkantons Tessins müsse in Bern gehört und ernst genommen werden, sagte Martini.
Interessant ist die Beziehung der Gemeinde zum Patriziato di Cavergno. Diese Körperschaft, vergleichbar mit einer Korporation oder Genossenschaft in der Deutschweiz, ist an das alte Bürgerrecht gekoppelt und ist die wichtigste Grundeigentümerin im Val Bavona. Das Patriziato und die Gemeinde sind sich nicht immer einig bei der Entwicklung des Tales, was sich etwa beim gescheiterten Projekts eines Nationalparks zeigte. Martini erzählte uns auch, dass das malerische Touristental, das wir am Vortag besucht hatten, nur von fünf Personen ganzjährig bewohnt sei. Und dass fast alle Dörfer im Val Bavona nie ans Stromnetz angeschlossen wurden, weil die Bewohner dies freiwillig ablehnten.
Nach dem Lunch zu Hause fuhren wir im Minibus nach Cevio, wo wir uns in der brütenden Hitze einen spannenden Fussballmatch lieferten. Es ging um den Abwasch am Abend, welchen Erika, Maurice und Adrien dank einem 10:9 knapp vermeiden konnten. Die Abkühlung im natürlichen Maggia-Schwimmbad gleich neben dem Sportplatz von Cevio war herrlich. Der Fluss hat hier fast keine Strömung, und wir hatten einen ganzen Sandstrand für uns allein.
Nach der Fussball-Revanche auf dem kleinen Feld beim Schulhaus füllten wir unsere Wasserflaschen und machten und zu Fuss auf den Rückmarsch. Vorerst gingen wir entlang der Maggia, bis der Weg zu Ende war und marschierten dann durch den alten Steinweg durch den Wald via Bignasco zurück nach Cavergno.
Am Abend vergnügten wir uns mit dem Kartenspiel «Anno Domini», in welchem man absurde und witzige Ereignisse aus der Schweizer Geschichte ordnen muss. Mehr Glück und Bluff als Wissen ist dabei gefragt, sodass die Auslandschweizer gegenüber den Leitern kaum Nachteile hatten. (Claudio Zemp)